
Der FPÖ-Chef Herbert Kickl hat gute Chancen, Bundeskanzler zu werden.Bild: keystone
Donald Trump, Giorgia Meloni und zuletzt Herbert Kickl: In den westlichen Demokratien beginnt eine neue Ära der Populisten. Die Stärke der charismatischen Volkstribune ist kein Zufall. Eine Übersicht.
Bojan Stula, Remo Hess, Hansjörg Friedrich Müller, Fabian Hock, Natasha Hähni, Stefan Brändle / ch media
Der Auftrag zur Regierungsbildung an FPÖ-Parteichef Herbert Kickl sendet Schockwellen durch Europa. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die als rechtsextrem kritisierten Freiheitlichen erstmals in Österreich den Bundeskanzler stellen werden. Das weckt Befürchtungen vor einem weiteren demokratischen Zerfall innerhalb der EU und zusätzlichem Rückenwind für die Rechtspopulisten innerhalb des internationalen Parteienspektrums.
Die folgende Übersicht erklärt die Mechanismen, die hinter diesem jüngsten Aufschwung weltweit stehen, und zeigt mögliche Szenarien in den betroffenen Ländern für die Zukunft auf.

Das jüngste Mitglied im Klub der regierenden Rechtspopulisten: FPÖ-Frontmann Herbert Kickl.Bild: keystone
Österreich: FPÖ vor der Machtübernahme
- Erfolgsformel: «Die FPÖ am Ende» lautete die legendäre Schlagzeile der «Kronen Zeitung», als im Mai 2019 die Ibiza-Affäre platzte. Der Rücktritt des damaligen Parteichefs Heinz-Christian Strache, das Ende der Regierungskoalition mit der ÖVP, der schmähliche Rauswurf von Herbert Kickl als Innenminister und die anschliessende Wahlniederlage erwiesen sich jedoch lediglich als Zwischentief. Die meisten Experten in Österreich sind sich einig, worauf dies zurückzuführen ist: die Covid-Pandemie. So analysierte jüngst der Wiener «Standard»: «Der Kampf gegen die Obrigkeit, die freie Bürgerinnen und Bürger massregeln und letztlich sogar einsperren will, (...) nahm konkrete Formen an. Die Unzufriedenen und Zornigen haben sich hinter der FPÖ versammelt, die ihnen Stimme und politische Stossrichtung gab.» Der klare Wahlsieg im vergangenen Herbst und die bevorstehende Kanzlerschaft können daher vielleicht besser nicht wegen, sondern trotz FPÖ-Frontmann Herbert Kickl verstanden werden. Laut Wahlbefragungen von Meinungsforschungsinstituten haben nur 2 Prozent der Befragten die FPÖ wegen Kickl, dagegen 45 Prozent wegen inhaltlicher Standpunkte gewählt. Hierzu zählt an erster Stelle der harte Kurs gegenüber Ausländern.
- Ausblick: Massnahmen gegen die Einwanderung bis hin zur Remigration; die Beschneidung des öffentlichen Rundfunks und Kulturbetriebs; gegen «Gender-Wahn» und «Klima-Terror»; und nicht zuletzt grössere Distanz zur EU, mehr Nähe zu Russland und ein Ende der Ukraine-Unterstützung: Die FPÖ hat im Wahlkampf keinen Hehl aus ihrem beabsichtigten Radikalumbau von Österreichs Gesellschaft gemacht. In fünf Bundesländern sitzen die Freiheitlichen bereits als Koalitionspartner der ÖVP in den Regionalregierungen, in der Steiermark stellen sie neu sogar den Landeshauptmann. Doch auf Länderebene zeigt sich nicht nur die starke Abgrenzung zur Bundespolitik, sondern auch die Unmöglichkeit schneller, radikaler Änderungen. So stecken beabsichtigte Reformen im Bildungs- und Gesundheitswesen fest. Bei vielen Bundesvorhaben wird der designierte Koalitionspartner ÖVP nicht mitmachen, die linken und liberalen Oppositionsparteien schon gar nicht. Ausserdem ist anhand von Kickls Vorgeschichte fast nicht vorstellbar, dass er skandalfrei durch seine Bundeskanzlerschaft kommt. Stattdessen sind viel Streit und Widerstand in den Institutionen programmiert. (thw)

Giorgia Meloni hat seit ihrem Amtsantritt das italienische Polit-Establishment überrascht.Bild: keystone
Italien: Stabilität mit Giorgia Meloni
- Erfolgsformel: Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat die «Fratelli d'Italia» innert weniger Jahre von einer Randpartei zur stärksten Kraft in Italien gemacht. Einst als Post-Faschistin und Mussolini-Bewunderin verschrien, gilt sie heute als eine der mächtigsten Frauen in Europa. Entscheidend für ihre Entteufelung ist, dass sie ihre Positionen hin zur Mitte verschoben hat. Ihre scharfe Anti-EU-Rhetorik hat sie angepasst. Gleichzeitig sind ihre migrationskritischen Ansichten heute europaweit salonfähig geworden. Ihren Aufstieg begünstigt hat zudem die Tatsache, dass die Italienerinnen und Italiener in den letzten Jahren so ziemlich alle möglichen Regierungen durchexerziert haben, zuletzt eine technokratische Einheitsregierung unter dem ehemaligen Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi.
- Ausblick: Für italienische Verhältnisse läuft die Regierung Meloni relativ geräuschlos, auch wenn es immer wieder Spannungen mit dem Koalitionspartner Matteo Salvini gibt. Dieser fischt mit seiner rechtspopulistischen Lega im ähnlichen Teich wie die Fratelli. Mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump versteht sich Meloni dafür blendend. Sie sei eine «fantastische Frau», schwärmte Trump beim Blitzbesuch der Römerin in Florida am Wochenende. Da dürfte er ihr auch nachsehen, dass Italien mit nur 1,5 Prozent Militärausgaben gemessen an der Wirtschaftsleistung weit hinter dem Nato-Ziel zurückbleibt. Mit Trump-Berater Elon Musk will Meloni einen 1,5-Milliarden-Euro-Deal zur Beteiligung an seinem Satellitensystem Starlink durchziehen.
Deutschland: Siegreich und der Macht doch fern
- Erfolgsformel: Ihren Höhenflug hat die AfD vor allem den Schwächen ihrer Gegner zu verdanken: Ob Migrationskrise, Wirtschaftskrise oder Inflation – auf all das haben die anderen Parteien in den Augen vieler Deutscher keine überzeugenden Antworten. Bisher steht sich die AfD selbst oft im Weg, denn extremistische Äusserungen einiger Exponenten stossen viele Wähler ab. Auch ihre Russland-freundliche Haltung wirkt auf konservative Milieus eher abschreckend. Mit Alice Weidels Aufstieg an die Spitze ging allerdings eine Professionalisierung einher; interne Konflikte sind nun weitgehend befriedet. Eine Sympathieträgerin ist Weidel, die dem Typus kühle Karrierefrau entspricht, zwar nicht unbedingt, doch strahlt sie anders als viele ihrer Parteikollegen eine gewisse Kompetenz aus.
- Ausblick: Bei der Bundestagswahl im Februar hat die AfD realistische Chancen, zweitstärkste Kraft zu werden – vor der SPD von Kanzler Scholz. Von einer Regierungsbeteiligung ist sie allerdings weit entfernt: Zumindest in der kommenden Legislaturperiode dürfte der Cordon sanitaire, den die übrigen Parteien gegenüber der AfD errichtet haben, bestehen bleiben. Der Ausstieg Deutschlands aus der EU und dem Euro, den die Partei fordert, ist wohl nicht einmal realistisch, sollte sie irgendwann doch Teil einer Regierung werden. Eines hat die AfD allerdings bewirkt: Die CDU hat unter ihrem Chef Friedrich Merz einen konservativeren Kurs eingeschlagen, der sich bald in einer strengeren Migrationspolitik niederschlagen könnte.

Marine Le Pen und ihre rechte Hand Jordan Bardella.Bild: keystone
Frankreich: Von Wahl zu Wahl legt Le Pen zu
- Erfolgsformel: Marine Le Pen ist derzeit zweifellos die prägendste Politikerin Frankreichs. 2011 hatte sie den «Front National» (FN) von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen übernommen und in das gemässigtere «Rassemblement National» (RN) verwandelt. Seither verfolgt sie einen salonfähigen, oft samtweichen Kurs, um mehrheitsfähig zu werden. Sie hat ihre raue Stimme feminisiert und verzichtet auf frühere Schimpftiraden. Aussenpolitisch ist sie von ihrem grossen Unterstützer Wladimir Putin abgerückt, ohne sich allerdings von ihm loszusagen. Auch innenpolitisch lässt sie heute vieles offen und ungesagt. Damit will sie neue und moderatere Wähler gewinnen, ohne die bisherigen FN-Wähler zu vergraulen. Alle wissen, dass Le Pen die Immigrationsschraube anziehen und die EU attackieren würde; aber sie braucht das gar nicht zu sagen: In den letzten Präsidentschaftswahlen hat sie mit dieser Taktik regelmässig zugelegt; 2022 kam sie gegen Emmanuel Macron auf gut 41 Prozent der Stimmen. Und er wird 2027 nicht mehr antreten können.
- Ausblick: Ob Marine Le Pen bei den nächsten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2027 in den Élysée-Palast einziehen kann, ist allerdings auch unsicher. Sie und einige ranghohe RN-Kader sind in einem laufenden Strafverfahren wegen Veruntreuung von EU-Geldern durch Haftstrafen inklusive Unwählbarkeit bedroht. Wird Le Pen Ende März verurteilt, dürfte sie nicht zu den Wahlen zugelassen werden. Ihre rechte Hand Jordan Bardella müsste übernehmen. Ihm fehlt es aber noch an Erfahrung.

Seit 15 Jahren an der Macht und immer noch unbeirrbar: Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.Bild: keystone
Ungarn: Viktor Orbán auf dem Zenit seiner Macht
- Erfolgsformel: Viktor Orbán ist das «Enfant terrible» der europäischen Politik und füllt diese Rolle seit 15 Jahren gekonnt aus. Er ist stolz darauf, in Ungarn eine in seinen Worten «illiberale Demokratie» geschaffen zu haben. Der kalkulierte Tabubruch ist sein bevorzugtes Instrument, nicht nur, wenn es gegen die «Eurokraten» in Brüssel geht. Auf dem internationalen Parkett ist er trittsicher und mit einem feinen Gespür für das richtige Timing unterwegs. Er kann brutal sein, aber durchaus auch charmant, wenn es die Situation erfordert. Durch Orbán erhält das 9-Millionen-Land Ungarn regelmässig weltweite Aufmerksamkeit. Innenpolitisch hat er grosse Teile der Medien unter seine Kontrolle gebracht sowie Verfassung und Wahlrecht nach seinen Bedürfnissen umgestaltet. Eine Gruppe Günstlinge und Familienmitglieder sind durch Orbán ausserordentlich reich geworden. Mit gezieltem Klientelismus für ärmere Schichten auf dem Land sichert er sich zudem Wählerstimmen.
- Ausblick: Viktor Orbán pflegt demonstrativ eine Männerfreundschaft mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump. Als rechter Vordenker und Galionsfigur befindet er sich auf dem Zenit seiner Macht. Aber Orbán hat sich auch viele Feinde gemacht. Mit der EU-Kommission führt er wegen des Demokratie-Abbaus seit Jahren einen Kleinkrieg. Dazu kommt seine dezidiert Russland-freundliche Haltung. Zum Problem wird für Orbán, dass es wirtschaftlich schlecht läuft. Die jungen Leute verlassen das Land. Die Korruption der Orbán-Clique wird immer klarer sichtbar. Die neu gegründete Partei seines einstigen Verbündeten Peter Magyar hat ihn in Meinungsumfragen zuletzt überholt. Regierungskritische Journalisten in Ungarn spekulieren, dass Orbán deshalb ein Präsidialsystem ähnlich wie in Frankreich einführen will – um noch mehr Macht an sich zu ziehen.

Der künftige US-Präsident Donald Trump könnte dieses Mal noch mehr Wahlversprechen umsetzen.Bild: keystone
USA: Im zweiten Anlauf geht's für Trump einfacher
- Erfolgsformel: Donald Trump liebt das Rampenlicht. So sehr, dass er kurz vor der Präsidentschaftswahl einen Sportanlass besuchte – eigentlich ein Tabu im Wahlkampf. Zu gross ist normalerweise die Angst davor, ausgebuht zu werden. Nicht aber bei Trump. Statt den Republikaner zu demütigen, brach das Publikum in Alabama in tosenden Applaus aus. Auch Fernsehauftritte, Podcasts oder politische Stunts wie einen Nachmittag im McDonald's oder eine Fahrt in einem Müllwagen wie zum Ende des Wahlkampfs lässt sich der angehende US-Präsident kaum entgehen. Donald Trump ist eine Marke. Seine Tänze, Realityshows, seine Sprüche – er ist kein konventioneller Politiker und muss sich auch nicht wie einer verhalten, um gut anzukommen. Bei seinem erneuten Einzug ins Weisse Haus ist Trump so beliebt wie noch nie. Das, obwohl sein Wahlkampf geprägt war von Gerichtsterminen, Kritik an seinem hohen Alter und zwei Attentaten. Vier Jahre nachdem seine Anhänger das Kapitol gestürmt haben, um erfolglos die Bestätigung Joe Bidens zu verhindern, gewinnt Trump neben der Mehrheit der Wahlmänner-Stimmen auch erstmals die Mehrheit der Stimmbevölkerung für sich. Dies, weil neben seinen langjährigen Anhängern auch viele gemässigtere Wählerinnen und Wähler in ihm eine Alternative zu einer Regierung sehen, die nicht für die Bedürfnisse der Amerikanerinnen und Amerikaner einstehe.
- Ausblick: Trump hat für seine zweite Amtszeit unter anderem Massenausschaffungen, die Verfolgung politischer Gegner, das Ende der Kriege in der Ukraine und in Nahost sowie hohe Importzölle angekündigt. Welchen Plänen er während seiner Amtszeit tatsächlich nachgehen wird, bleibt abzuwarten. Mit der Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat sowie einer – dank ihm – Mehrheit an konservativen Richtern im Obersten Gerichtshof kann Trump seine Pläne dieses Mal einfacher durchsetzen als 2017.

Pierre Poilievre ist seit 2022 der Parteiführer der Conservative Party of Canada.Bild: keystone
Kanada: Am Mini-Trump führt kein Weg vorbei
- Erfolgsformel: In dem Video, das Pierre Poilievre in konservativen Kreisen berühmt machte, beisst der 45-jährige Kanadier erst einmal kräftig in einen Apfel. Kauend zerlegt er anschliessend einen sichtlich überforderten Reporter. Dieser meinte, es sei ja ganz offensichtlich, dass Poilievre ein Populist sei. «Was bedeutet das?», fragt dieser. Der Reporter sucht verzweifelt nach einer Erklärung. «Wovon reden Sie eigentlich?», fragt der Konservative und nimmt einen weiteren Biss. «O. k., lassen wir das», sagt der inzwischen völlig verunsicherte Reporter. «Nächste Frage: Warum sollten die Kanadier Ihnen vertrauen?» Poilievres Antwort darauf ist so knapp wie vielsagend: «Gesunder Menschenverstand». Die Mehrheit der Kanadier glaubt inzwischen, dass dieser der Regierung Trudeau abhandengekommen ist. Der Premier selbst hat inzwischen die Reissleine gezogen und tritt ab. Die Menschen leiden an der hohen Inflation, «die höchste seit vier Jahrzehnten», wie Poilievre bei jeder Gelegenheit betont. Als Regierungschef werde er das ändern. «Sie wollen Ihre Miete wieder bezahlen können? Dann wählen Sie Pierre Poilievre», ruft er den Kanadiern zu. Poilievres zweiter grosser Punkt ist die Einwanderung. Vor der Ära Trudeau sei diese nicht mal ein Streitpunkt gewesen, heute gehöre sie aufgrund zu lascher Regelungen zu den grössten Problemen des Landes. Auch das werde er ändern.
- Ausblick: Wirtschaft und Migration bescheren dem als «Mini-Trump» bezeichneten Politiker enormen Zulauf: In den Umfragen liegt er klar vorn, aus den anstehenden Wahlen wird er aller Voraussicht nach als neuer Premier herauskommen. Das Bündnis USA-Kanada, das für die nördlichen Nachbarn besonders wichtig ist, dürfte durch die Achse Trump und Mini-Trump gestärkt werden.
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Dem Vatikan bietet sich nach dem Tod von Franziskus die Chance, seine fragwürdige Haltung zum Ukraine-Krieg zu korrigieren.
Als überzeugter Atheist mische ich mich normalerweise nicht in religiöse Angelegenheiten ein. Doch es sind keine normalen Zeiten.
Angst, Wut, Verunsicherung und fehlendes Vertrauen in Regierungen entladen sich nun, gepaart mit durchaus kritikwürdigen Sachen die auch falsch bzw. nicht optimal gelaufen sind (Migrationspolitik in Deutschland z.B).
Diese Suppe wird durch die für viele Menschen immer mehr als Informationsquelle dienenden Social Media Kanäle noch hochgekocht.
Diese Vakuum füllen nun Populisten, Anti-Demokraten und Spinner, die nach oben gespült wurden.
Was ich vor ein paar Jahren noch absurd gefunden hätte, macht mir mittlerweile ernsthaft Sorgen.
Dann ist meine Frage, wie wird dieses Ziel (Miete bezahlbar) erreicht? Als Antwort, wird dann irgendetwas wie ein Konzept eines Planes kommen, eine Beleidigung, weil man sich erdreistet kritisch zu denken und zu hinterfragen oder es kommt gar nichts.
Es wird einfach etwas herausgehauen und hofft die grosse Masse merkt nicht, dass man selber auch kleinen Plan hat um die Probleme zu lösen. Hauptsache es tönt einfach und die Schafe springen drauf an.